Widerstandskämpfer, Wanderer, Reiseschriftsteller: Patrick Leigh Fermor ging als junger Mann nach Istanbul, entführte 1944 auf Kreta einen Wehrmachtsgeneral und lebt heute auf Mani. Dort bewahrt er die Schreibmaschine von Bruce Chatwin auf.
Dass es sein Haus gar nicht geben könnte, dass man in einen Schrank steigen oder sich in einen Kaninchenbau stürzen müsste, um es zu erreichen – dieser Gedanke kommt mit der felszerklüfteten Dunkelheit und kehrt tags, ins Verwunschene gewendet, zurück.
Der Weg zu Patrick Leigh Fermor, dem Herodot des 20.Jahrhunderts, führt, scheint’s, an den Rand der Welt und dann noch einen Schritt darüber hinaus. Die flirrenden Blätter des Olivenhains, die riesenhaften Zitronen und die rote, von Vergangenheit schwere griechische Erde könnten ebenso gut die Requisiten eines Traums sein.
“Paddy” kam erstmals 1952 nach Mani
Wir halten auf eine Gruppe wachsamer Zypressen zu und folgen dem zugewachsenen Pfad bis vor eine himmelblaue Pforte. Braucht es einen Zauberspruch, damit sie sich öffnet und Fermor, der Reiseschriftsteller, der Kriegsheld, die Legende erscheint? Klopfen jedenfalls scheint zuwenig.
Mit 92 Jahren ist Patrick Leigh Fermor der Unsterblichkeit so nahe, wie man ihr heute noch nahe kommt. Seine Art Ruhm ist nur abseits des Weltenrummels zu haben, hinter fest verschlossenen Türen oder an so verschwiegenen Orten wie der Mani.
Paddy, wie die Vertrauten nicht ohne Ehrfurcht sagen, kam 1952 zum ersten Mal her. Wie die Spartaner und Byzantiner, die vor Slawen und Osmanen flohen und von denen er alles weiß, erklomm er die Pässe des bis zu zweieinhalbtausend Meter hohen Taygetos, der die Mani, den Mittelfinger der peloponnesischen Hand, Jahrhunderte lang zu einer natürlichen Festung machte.
Das Klopfen bringt keine Antwort
Die schrundigen Rücken der Hänge reichen bis fast an die Bucht. Bruce Chatwin, der kam, um Paddy wie einen „Guru“ zu verehren oder wie einen König zu stürzen, sah Adler über dem Haus der Leigh Fermors schweben. Zwanzig Jahre später vergrub Paddy Chatwins Asche – neben einer bröckelnden byzantinischen Kirche nicht weit von hier. Die Mani ist für ihre Klagelieder berühmt.
Südwärts, an den verblichenen, blinzelnden Wehrtürmen der winzigen Dörfer vorbei, führe, heißt es, ein Schlund in den Hades. Leigh Fermor fand ihn geflutet. „Phosphorgefiedert“, schrieb er, tauche man in die kalten Tiefen und schwimme „wie durch das Herz eines riesigen Saphirs“.
Wir klopfen vergeblich, wagen uns auf das kunstvolle Kopfsteinpflaster des Innenhofs und flüstern mit der Haushälterin. Sie führt uns durch zum Garten hin offene Arkaden, die sich ebenso gut über einen Kreuzgang wölben könnten.
Leigh Fermor ist tätowiert wie ein Seemann
Leigh Fermor hat in so vielen Klöstern Europas geschrieben, in Türmen aus „massivem Elfenbein, und wenn hier jemand ein Eskapist war, dann ich“. Die Türen zu den Gästezimmern allerdings, die zahlreichen Tische, über denen der Klang von Gläsern und Gelächter wie Rauch in einer Gardine hängt, sprechen eine andere Sprache.
Leigh Fermor spricht viele. Fotografien zeigen ihn mal strotzend vor Charme und Lebenslust, mal beinahe professoral und dann wieder offenbar verkatert und wie ein Seemann tätowiert.
Wir warten unter der Kassettendecke des weitläufigen, herrlich unaufgeräumten Wohnzimmers, von dem der englische Dichter John Betjeman einmal schrieb, es sei „einer der Räume der Welt“. An einer Wand hängen Gemälde von Nicolas Ghika und John Craxton, im Regal lehnen abgegriffene, ausgeblichene Bände der großen englischsprachigen Stilisten. Auf dem Fußboden findet sich ein Band „Sherlock Holmes“. „Zauberhaft einfach, nicht wahr?“
Die Familie ließ den Sohn bei Fremden zurück
So könnte Merlin aussehen: ein Wust grauen, gewellten Haars, vom Alter scharfe Züge und Äonen in den Augen. Leigh Fermor trägt den fadenscheinigen Pullover eines Dachstubengelehrten und die Hosen eines Künstlers in seinem Atelier.
Er ist von überwältigender Freundlichkeit, formvollendet „upper class“. Im sonnenbeschienenen Erker nennt er beinahe jeden, auf den die Rede kommt, „marvellous“: Schriftsteller, Maler, Musiker. „Sie kannten sie alle.“– „Ich bin“, sagt er milde, „so alt.“
Patrick Leigh Fermor wurde 1915 geboren, die Familie – der Vater war Geologe in Diensten der Kolonialregierung – reiste bald darauf nach Indien ab. „Damit wenigstens eines von uns Kindern am Leben bliebe, wenn ein Unterseeboot das Schiff versenkte“, blieb Paddy in der Obhut einer kleinbäuerlichen Familie in England zurück.
1933 – die erste Reise nach Istanbul
„Ich rannte“, erzählt er, „lärmend und kreischend über den Hof. Disziplin habe ich nie gelernt. Ich war ein schwieriger Schüler.“ – „Faul?“ – „Ungehorsam.“ Sogar ein Psychiater, der auch Virginia Woolf behandelte, wurde konsultiert. Paddy flog dennoch von der Schule. Er hatte mit der Tochter des Gemüsehändlers Händchen gehalten.
Der Herbst des Jahres 1933 fand ihn Trübsal blasend in einem Zimmer unweit von Londons Shepherd Market, wo er hätte pauken sollen, damit wenigstens die Kadettenanstalt ihn nähme.
Stattdessen nahm er einen Vers von George Herbert beim Wort: „Wohlan! Ich muss davon! – Mein Weg ist frei, frei bis zum Horizont, / Weit wie der Wind.“ Im Dezember 1933 schiffte er sich nach Holland ein. Von dort wollte er zu Fuß in ein „drachengrünes“, „schlangenverwunschenes“ Byzanz, das er niemals Istanbul nennt.
Auf den Reisebericht warten die Fans bis heute
Er ist berühmt dafür, sich in der weitverzweigten europäischen Geschichte, die er wie kaum ein Zweiter kennt, zu verlieren. In „Mani“, einem seiner schönsten Bücher, dem „Gegenteil eines Reiseführers“, wie er sagt, gibt es eine Fußnote, die aus schierer Freude die seltsamsten, „hierhin und dorthin verschlagenen Volksgruppen“ Griechenlands aufzählt: die Melevi-Derwische vom „Turm der Winde“, die Feuertänzer von Mavroleki, die Wander-Quacksalber Eurytaniens. Mit den Zigeunern, denen er 1934 im Hochland der Karpaten begegnete, sprach Patrick Leigh Fermor Latein.
Paddy kam am Neujahrstag des Jahres 1935 in Konstantinopel an und hatte besseres zu tun, als über seine Reise zu schreiben. Er, einer der großen englischen Stilisten, arbeitet langsam, das Leben selbst scheint immer im Weg.
Erst 1977 erschien „Die Zeit der Gaben“, das seinen Weg von Hoek van Holland bis an die mittlere Donau beschreibt, neun lange Jahre später folgte „Zwischen Wäldern und Wasser“, das bis zum Eisernen Tor führt. Das dritte Buch, die Beschreibung des letzten Wegstücks bis nach Konstantinopel, wird bis heute so sehnsüchtig erwartet, dass ein paar wenige Worte aus Paddys Mund die britische Presse bis heute aufseufzen lassen.
Wo ist Chatwins alte Schreibmaschine?
Als Sir Patrick, wie er sich seit 2004 nennen durfte, im März in Athen der „Orden des Phönix“ verliehen wurde, erzählte er auf seine beiläufige Art, dass er, weil seine Handschrift immer schlechter würde, gerade das Maschineschreiben lerne.
„Oh ja“, sagt er im satten Sonnenschein, „ich werde dieses Buch schreiben. Es soll am Berg Athos enden. Von dort habe ich Notizen für jeden Tag.“ Wir sind durch den Garten spaziert, der Golf von Messenien leuchtet in einem Dutzend Farben Blau. Auf dem verbrannten Gras räkelt sich ein Kater: „Seine Urgroßmutter war eines Tages einfach da.“
Das Studio ist in einem Nebengebäude untergebracht. Auf einer eisernen Kiste, die über der Aufschrift „Traveller’s Club“ seinen Namenszug trägt, stapeln sich Bücher, an der Wand eine verblichene französische Jagdszene. Irgendwo hier muss auch Chatwins alte Schreibmaschine stehen, eine 51er Olivetti. Nur wo? Wo?
Soldat war er gerne, da war “immer etwas los”
Auf dem Berg Athos feierte Paddy seinen 20. Geburtstag, ging dann nach Athen, wie er später nach Paris und Rom ging. Mit einer rumänischen Prinzessin lebte er in einer alten Wassermühle auf dem Peloponnes und folgte ihr schließlich nach Baleni, zum Sitz ihrer Familie im Norden Rumäniens.
Russland und die Schrecken des Kommunismus waren plötzlich zum Greifen nah. „Viele Ihrer Freunde waren damals Kommunisten.“ – „Ich habe geschwiegen“, sagt er. „Ich war so unpolitisch.“
In Baleni erreichte ihn der Krieg. Er, dem sechs Jahre zuvor am Shepherd Market klar geworden war, „wie wenig ich zum Soldaten in Friedenszeiten taugte“, meldete sich freiwillig. Der Aufbruch war hastig. „Nicht mal mein Notizbuch nahm ich mit. Wir waren so naiv. In ein paar Monaten glaubten wir uns wiederzusehen.“ Es dauerte Jahrzehnte. „Waren Sie gern Soldat?“ – „In gewisser Weise ja. Es war immer etwas los.“
1944 entführt er einen deutschen General
Auch im Badezimmer stehen Bücher und irgendwo zwischen ihnen findet sich eine Plakette zur Erinnerung an die Schlacht um Kreta. Als sie verloren war, kehrte Leigh Fermor als Major des Special Operations Executive nach Kreta zurück. Anderthalb Jahre lang lebte er als Schäfer verkleidet in Höhlen – „gehüllt in Tuche aus weißer Ziegenwolle und entsetzlich schmutzig“ – und organisierte den kretischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer.
Der Rest ist Legende, eines der gewagtesten Kommandounternehmen des Zweiten Weltkriegs. Eine Nacht im April 1944, ein großer Opel auf dem Weg nach Knossos, Paddy in einer gestohlenen deutschen Uniform am Wegesrand. Ein Handgemenge und dann, an den Straßensperren, immer wieder der Ruf „Generalswagen“.
Tagelang irrten Leigh Fermor, seine Leute und der entführte deutsche General Kreipe durch die Berge, bis sie die Küste und schließlich Libyen erreichten. Auf dem beschwerlichen Weg murmelt Kreipe einmal Verse von Horaz. Leigh Fermor fällt ein. „Ach so, Herr Major“, sagt Kreipe.
Über den Tod spricht er nie
Paddy hat nie wirklich darüber geschrieben. „Ill Met by Moonlight“, das Buch, das diese Geschichte in Gänze erzählt, stammt von Bill Stanley Moss, seinem damaligen Stellvertreter, und wurde mit Dirk Bogarde als Leigh Fermor verfilmt.
Als es 1950 erstmals erschien, kam gerade auch Paddys erstes Buch „The Traveller’s Tree“, eine Beschreibung seiner Reisen durch die Karibik, heraus. Danach war er – in Großbritannien, in Griechenland – berühmt. „Er verkörperte eine Idee der Renaissance“, schreibt Artemis Cooper, „ein Mann der Tat, der ebenso sehr ein Gelehrter ist.“
Cooper, die Freundin und Tochter einer Freundin, wird Paddys Biografie schreiben, wenn er, wie er sagt, „erst verschwunden ist“. – „Doch jetzt, wo Sie es ansprechen: Wir reden eigentlich nie darüber.“
Die Steine für das Haus kamen mit dem Esel
Zum Lunch gibt es Zitronenhühnchen, Tzatziki und Retsina. Wir sitzen auf andalusischen Stühlen, an einem venezianischen Tisch, zu Füßen einer von den Zeitläuften guillotinierten römischen Sibylle. Leigh Fermor hat sie in Rom am Wegesrand aufgegabelt, er sammelt nichts.
Er erzählt von Niko Kolokotronis, dem Mauerermeister, der den Auftrag bekam, sein Haus zu bauen, weil sechs Generationen Kolokotronis Mauermeister waren und alle die Geige spielten. Das war Anfang der Sechziger. In der Bucht gab es keinen Strom, Esel brachten die Steine, und Paddy und seine Frau Joan lebten in Zelten, bis das Haus endlich fertig war.
„Ich kritzele im Studio vor mich hin“, heißt es in einem Brief aus den schönsten, vor Leben pulsierenden Tagen in der Bucht. „Durchs Fenster kann ich Joan sehen, die ihre Heerschar Katzen zum Dinner lädt; massenhaft Miaus steigen auf, und ihre Schwänze schlagen Wellen wie das Meer.“
Ein Bild von seiner Frau Joan in der Hand
Leigh Fermor langt ein Bild vom Kaminsims, Joan in den Vierzigerjahren, von ihm mit dem Bleistift porträtiert. „Mach schon!“, hat sie von einem Boot aus gerufen, als Paddy wie sein Held Lord Byron den Hellespont durchschwamm. „Es dauerte drei Stunden.“
Joan ist im Juni 2003 hier gestorben. „Sie war“, sagt er, seine Zeichnung in der Hand, „in Wahrheit noch viel schöner.
Original article.
Pingback: Meine Suche nach Patrick Leigh Fermor « Patrick Leigh Fermor
The Google translation of the interview badly needs polishing. I also think you should specify the date. It’s from 8 July 2007. Paddy is 95 now.
Please see my email.
Chris – see my email. I state it is from 2007 but will add the extra detail. I will also state that Google translation is poor (but sometimes amusing). Always best in the original – please see the German original from Die Welt; next post down.
Tom